Rede

64. Königswinter-Konferenz

Rede des Staatsministers für Europa im britischen Außenministerium, David Lidington, bei der Königswinter-Konferenz 2014 in Cambridge.

Veröffentlicht wurde dies unter der 2010 to 2015 Conservative and Liberal Democrat coalition government

Good evening, guten Abend und vielen Dank für die Einführung!

Ich möchte meinen deutschen Amtskollegen Michael Roth willkommen heißen, mit dem ich heute eine gemeinsame Sitzung unserer beiden Staatssekretärsausschüsse für europäische Angelegenheiten geleitet habe.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass Sie schon einen ganzen Tag voll mit Diskussionen hinter sich haben, wobei die Prüfungsfrage zu beantworten war, ob Europa eher ein Museum oder eine globale Drehscheibe ist.

Wahrscheinlich haben Sie diese Frage inzwischen zu Ihrer Zufriedenheit gelöst. Aber wenn ich gefragt würde, wäre meine Antwort, von beidem ein wenig.

Und das außergewöhnliche Gebäude, in dem wir uns heute Abend hier befinden, macht deutlich warum.

Das King‘s College wurde 1441 gegründet. Es gilt als eines der schönsten Colleges in dieser historischen Stadt, und wird jedes Jahr von Hunderttausenden von Touristen besichtigt. So gesehen ist es also ein Museum.

Gleichzeitig ist die Universität Cambridge aber auch ein erstklassiger Wissenschafts¬standort, an dem Ideen entwickelt werden, die sich in der ganzen Welt ausbreiten. Aus Cambridge sind 90 Nobelpreise hervorgegangen, das ist die höchste Zahl für eine einzelne Institution. Unter den Preisträgern waren herausragende britische Forscher, aber auch gebürtige deutsche Wissenschaftler wie Hans Krebs und Ernst Chain.

Genau wie Cambridge ist auch Europa gleichzeitig Museum und moderne Drehscheibe. Wir können stolz sein auf unsere Tradition, aber es die Kraft unserer Ideen und Ideale, die uns geholfen hat, Wohlstand und europäische Werte in die ganze Welt zu tragen.

Vor vielen Jahren, als ich noch Student der Geschichte hier in Cambridge war, hätte ich diese Debatte sicher bis in die frühen Morgenstunden fortgeführt. Heute will ich aber versuchen, mich etwas kürzer zu fassen.

Lassen Sie mich mit dem Thema des Tages beginnen – die Ukraine.

Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat Europa zurückgeworfen. Heute Abend möchte ich untersuchen, was diese Krise für uns bedeutet und welche Folgen sie langfristig …

… für unser Verhältnis zu Russland,

… für Europas Verhältnis zur übrigen Welt

… und für uns alle in der Europäischen Union

haben wird.

Erstens: Russland

Ich empfinde es als eine große Schande, dass wir uns nach 20 Jahren der Zusammenarbeit jetzt in dieser konfrontativen Situation befinden.

In den vergangenen zwanzig Jahren haben wir Russland in die Gemeinschaft der Nationen zurückgeholt. Gemeinsam haben wir den Terrorismus bekämpft. Ende der 90er Jahre haben wir seiner Wirtschaft mit einem Rettungspaket aus der Patsche geholfen. Unser Ziel war immer, mit der russischen Regierung und dem russischen Volk zusammenzuarbeiten.

Dessen ungeachtet und in direktem Verstoß gegen das Völkerrecht ist Russland in ein europäisches Land einmarschiert. Und es nutzt die schwelenden Konflikte von Transnistrien bis Südossetien jetzt aus, um erneut imperiale Vorrechte zu beanspruchen, für die es in einem demokratischen Europa keinen Platz gibt.

An den Grenzen der Ukraine stehen massierte russische Truppenverbände. Das Risiko, dass diese Krise sich weiter verschlimmert, ist groß.

Deshalb war es richtig, dass wir Sanktionen verhängt haben, und Russland sollte sich keinem Zweifel daran hingeben, dass Europa bereit ist, erforderlichenfalls auch noch weiter zu gehen.

Russland muss sich mit der Ukraine an einen Tisch setzen und direkte Gespräche führen. Sollte es dabei keine Fortschritte geben und sollte Russland sich weiter auf dem gegenwärtigen Kurs fortbewegen, müssen wir uns darauf vorbereiten, unser Verhältnis auf eine andere Basis zu stellen.

Das wird uns alle einiges kosten, Russland aber am meisten. Wie die Weltbank gestern mitgeteilt hat, könnte Russlands Wirtschaft in diesem Jahr um bis zu 1,8 Prozent schrumpfen.

Aber die Grundsätze der Herrschaft des Rechts und der nationalen Souveränität müssen unantastbar bleiben. Das sind europäische Grundsätze, und Deutschland und Großbritannien stehen fest in einer Reihe mit unseren EU- und NATO-Partnern, um sie zu schützen.

Mein zweites Thema ist Europas Rolle in der Welt.

Präsident Obama hat gestern in Brüssel noch einmal bekräftigt, dass die transatlantische Partnerschaft der Eckpfeiler der Sicherheit für Europa ebenso wie Amerika ist. Er sprach auch von der Macht der europäischen Werte und zitierte eine junge Frau auf dem Euromaidan, die gesagt hat: „es gibt Dinge, die auch die Angst, die Schlagstöcke der Polizei und das Tränengas nicht zerstören können.“

Ich stimme dem zu. Das Risiko in der Zeit nach dem Kalten Krieg bestand und besteht darin, dass wir die Gründe, aus denen die transatlantischen Bündnisstrukturen im letzten Jahrhundert geschaffen wurden, aus dem Blick verlieren und die Annahmen, auf denen unsere Sicherheitspolitik beruht, zunehmend als Theorie gelten.

Der vergangene Monat hat uns gelehrt, dass das ein schwerwiegender Fehler wäre. Ich komme gerade aus Riga und Vilnius, wo das besonders deutlich empfunden wird. Ich hätte offen gesagt Verständnis dafür, wenn man dort den Eindruck hat, das übrige Europa habe in den letzten zehn Jahren gar nicht zugehört, wenn man vor genau diesem Verhalten Russlands gewarnt hat.

Unsere Länder bekennen sich beide schon seit vielen Jahren zum transatlantischen Bündnis, darauf hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch letzten Monat in London eindringlich hingewiesen.

Es wird ernsthafte Gespräche über die Implikationen dieser Krise für die NATO geben müssen. In den kommenden Monaten werden wir Zeit dafür haben. Schon jetzt aber ist klar, dass das Bündnis auch weiterhin eine Schlüsselposition in unserer Sicherheitsarchitektur einnimmt.

Das soll nicht heißen, dass die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nicht auch eine wesentliche Rolle spielte – und in meiner Amtszeit haben unsere beiden Länder daran gearbeitet, diese Politik weiterzuentwickeln, sie flexibler, kohärenter und effektiver zu gestalten. Daran sollten wir weiter arbeiten.

Bei der transatlantischen Partnerschaft geht es aber nicht nur um die Sicherheit. Sie ist ganz wesentlich auch eine Gemeinschaft, die sich auf gemeinsame Werte stützt.

Und damit bin ich bei meinem dritten Gesichtspunkt: Europas Stärke in der Welt hängt von der Lebendigkeit unserer Demokratie und unserem wirtschaftlichen Wohlstand ab. Und um beides müssen wir uns dringend kümmern.

Der „Geist des Maidan“ hat uns daran erinnert, wie groß die Anziehungskraft Europas weiterhin ist.

Aber wenn die Europäische Union als Drehkreuz der Ideen fungieren und ihre Werte weiter hinaustragen will in die Welt, dann müssen wir beweisen, dass unser Modell funktioniert.

Wir brauchen Reformen für eine bessere Arbeitsweise der EU, so dass sie auch künftig eine Alternative darstellt, die durch Demokratie und Wohlstand überzeugt, statt auf Zwang und Isolation zu bauen.

Wir müssen Maßnahmen ergreifen, von denen wir wissen, dass sie zu höheren Lebensstandards führen: nämlich die Regulierung abbauen, die unsere Unternehmen behindert, und sie dazu befähigen, neue Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen, indem wir den Binnenmarkt für Dienstleistungen, Digitalwirtschaft und Energie weiter vertiefen.

Das bedeutet auch, die Transatlantische Handels- und Investitions-Partnerschaft – die Europa bis zu €°119 Milliarden pro Jahr einbringen dürfte – und andere Handelsabkommen voranzubringen, darunter auch das Freihandelsabkommen mit Japan.

Und wie Michael Roth wiederholt deutlich gemacht hat, müssen wir mithilfe dieses Wachstums etwas gegen die krisenhafte Jugendarbeitslosigkeit unternehmen, die eine ganze Generation in Europa ins Abseits zu stellen droht.

Und schließlich müssen wir dafür sorgen, dass unsere eigenen Institutionen gut in Schuss sind, wobei die demokratisch gewählten Regierungen der Mitgliedstaaten die Agenda der EU über den Europäischen Rat gestalten sollten. Denn genau wie unsere Sicherheit ist auch die Demokratie ein kontinuierlicher Prozess, der immer wieder neu belebt und gepflegt werden muss. Sie kann keineswegs für selbstverständlich genommen werden.

Bundeskanzlerin Merkel hat im Februar in London davon gesprochen, dass Europa sich in kontinuierlichem Wandel befindet. In wenigen Wochen werden wir ein neues EU-Parlament haben, und in ein paar Monaten eine neue Kommission. Diese Institutionen müssen ihre Arbeit klar auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum konzentrieren, damit die EU in dieser immer stärker von Wettbewerb bestimmten Welt nicht zurückfällt.

Wie die Niederländer vorgeschlagen haben, brauchen wir eine Verpflichtung dazu, Dinge auf der europäischen Ebene zu regeln, wo das nötig ist, und auf der nationalen, wo es möglich ist.

Es lohnt sich, hier einmal kurz innezuhalten und zu überlegen, warum das so wichtig ist. Bei dem niederländischen Prinzip geht es nicht darum, den gemeinsamen rechtlichen Besitzstand der EU aufzulösen, sondern um die fundamental demokratische Idee, dass Entscheidungen so nah wie möglich bei den Menschen fallen sollten, die von ihnen betroffen sind. Das ist ein Prinzip, das in den deutschen Bundesländern bestens funktioniert und das wir voll und ganz unterstützen.

Abschließend ist festzuhalten, dass die Krise in der Ukraine die Menschen in Europa wachgerüttelt und daran erinnert hat, im Blick zu behalten, wo wir stehen, welches unsere gemeinsamen Werte sind und wer unsere Partner sind. Wir können es uns nicht leisten, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand für selbst¬verständlich zu nehmen. Wir müssen uns anstrengen, um sie zu verteidigen und zu schützen.

Die starke Partnerschaft zwischen Großbritannien und Deutschland spielt eine wichtige Rolle dabei, wie Europa auf die derzeitige Krise reagiert und welchen Kurs es für die kommenden Jahre einschlägt.

Veröffentlicht am 28 March 2014