Pressemitteilung

Warum ich überzeugt bin, dass Großbritannien weiter mit Europa arbeiten kann

Gastbeitrag von Premierminister David Cameron im Daily Telegraph vom 30. Juni 2014.

Veröffentlicht wurde dies unter der 2010 to 2015 Conservative and Liberal Democrat coalition government

Am Montag werden mich die Abgeordneten im Unterhaus zum Europäischen Gipfel der vergangenen Woche befragen. Und es ist absolut richtig, dass der Premierminister in dieser Art und Weise zur Verantwortung gezogen wird. Das ist die Rolle unseres uralten Parlaments. Wenn ich bei diesen Gipfeltreffen sitze, oft bis spät in die Nacht hinein, vergesse ich auch nie, wem ich Rechen¬schaft schuldig bin, und dass meine Aufgabe darin liegt, den Interessen dieses Landes zu dienen.

Ich war der festen Überzeugung, dass bei dem Gipfel am Freitag ein bedeutendes Prinzip auf dem Spiel stand und dass es wichtig war, dafür einzustehen, auch wenn das bedeutete, isoliert zu sein. Denn manchmal kann man allein dastehen und dennoch Recht haben.

Bei dem Prinzip ging es darum, dass es Sache des Europäischen Rates, also der gewählten nationalen Regierungschefs ist, den Präsidenten der Europäischen Kommission vorzuschlagen, und sich diese Auswahl nicht vom Europäischen Parlament diktieren zu lassen. In der Vergangenheit wurde die Auswahl immer per Konsens getroffen. Es bestand auch diesmal keine Notwendigkeit, von dieser Praxis abzuweichen, selbst wenn die einschlägigen Verträge eine Mehrheitsabstimmung zulassen. Die Position, die ich bezogen habe, war nicht allein meine und auch nicht allein die der Conservative Party. Sie war und ist eine gesamtbritische Position, die von Labour und den Liberaldemokraten geteilt wird.

Nun, die Abstimmung ist nicht in unserem Sinne ausgegangen. Jean-Claude Juncker ist als nächster Präsident der EU-Kommission nominiert worden, und wir werden jetzt mit ihm arbeiten. Er hat in seinem Wahlkampf von der Bereitschaft gesprochen, auf die Bedenken Großbritanniens einzugehen, und sein Manifest enthielt die Zusage, mit Großbritannien zusammen auf eine faire Lösung hinzu-arbeiten.

Wenn wir uns als faire Lösung darauf verständigen können, dass wir nicht in unterschiedlichem Tempo auf dem Weg zu demselben Ziel sind, wie einige bisher angenommen haben, dann gibt es für uns Briten auch zukünftig [in der EU] etwas zu tun. Ich bin nicht gegen die weitere Integration innerhalb der Eurozone – ich halte sie für unverzichtbar. Die Mitglieder der Eurozone müssen das aber selbst entscheiden. Ich weiß allerdings auch, dass das britische Volk nicht Teil davon sein möchte, dass es eine vertiefte Integration vermeiden und erreichen will, dass unser Land vor den Auswirkungen, die weitere Integrationsschritte in der Eurozone auf den Binnenmarkt haben könnten, angemessen geschützt wird.

Ich bin bereit, nach vorne zu schauen und weiter für Großbritanniens Interessen in Europa zu kämpfen. Aber in den letzten Tagen sind drei falsche Schlüsse aus dieser Episode gezogen worden, die ich hiermit korrigieren möchte.

Erstens wurde gemutmaßt, dass es uns jetzt an Verbündeten fehlt. Das ist nicht der Fall. Zugegeben, in dieser Frage standen wir mit Ungarn allein da. Aber jenseits der Schlagzeilen über die Ernennung haben wir in Ypern mit den anderen Mitgliedstaaten ein paar wichtige Dinge vereinbart. Wir sind vorangekommen beim Rats-Mandat für die Europäische Kommission für die nächsten fünf Jahre und haben mit mehreren Ländern Nord-, Süd- und Osteuropas zusammengearbeitet, um Handel, Arbeits-plätze und Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Wir haben uns darauf verständigt, dass die nationalen Parlamente eine größere Rolle spielen sollten und die EU nur da tätig werden sollte, wo dies wirklich nötig ist. Und wir haben einen bedeutenden Durchbruch erzielt bei der Frage eines „immer engeren Zusammenschlusses“: wir haben klar gemacht, dass die Wünsche von Ländern wie Großbritannien, die keine vertiefte Integration wollen, respektiert werden müssen.

Und mit Unterstützung unserer Verbündeten haben wir in den Verhandlungen - zum ersten Mal überhaupt - die ausdrückliche Bestätigung erwirkt, dass man sich mit den Bedenken Großbritanniens befassen wird. Diese Zusage steht schwarz auf weiß in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, die alle 28 Regierungschefs unterzeichnet haben.

Das sind Schritte in die richtige Richtung, die wir nur erreicht haben, indem wir mit unseren Verbün-deten in Europa zusammengearbeitet haben. Und ich bekenne mich voll und ganz dazu, das auch weiterhin zu tun.

Der zweite falsche Schluss war, dass unser Versuch, diese Ernennung zu verhindern, an unserer Strategie gescheitert sei, und dass wir ein anderes Ergebnis erzielt hätten, wenn die Regierung sich an Mrs. Thatchers Vorbild gehalten hätte. Wir haben es heute aber mit einer ganz anderen Euro¬päischen Union zu tun als in den 80er Jahren. Damals gab es 12 Mitgliedstaaten, heute 28. Damals hatte die britische Premierministerin ein Vetorecht bei solchen Personalentscheidungen, das habe ich heute nicht mehr.

Hätten wir das Vetorecht noch, hätten wir es gegen diese Ernennung natürlich eingelegt. Bedauer-licherweise ist uns diese Option jedoch durch unsere Vorgängerregierung genommen worden. Labour hat den Vertrag von Nizza unterschrieben, mit dem das Vetorecht gegen die Nominierung des Kommissionspräsidenten abgeschafft wurde, und später den Lissabonner Vertrag, der dem Euro-päischen Parlament eine stärkere Rolle bei der Bestätigung des nominierten Kandidaten einräumt.

Uns wurde also eine Situation hinterlassen, in der die reale Gefahr besteht, dass wir überstimmt werden. Angesichts dieser Sachlage hätte ich entweder mit dem Strom schwimmen können, oder aber etwas riskieren und sagen, was ich wirklich denke. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Der dritte falsche Schluss war, dass dies ein Todesstoß für unsere Neuverhandlungs-Strategie in Europa war, und dass wir jetzt eigentlich aufgeben könnten.

Ich will nicht leugnen, dass es unsere Aufgabe erschwert und die Risiken weiter erhöht hat. Aber es liegt ganz und gar nicht in unserem Charakter als Nation, einfach aufzugeben. So etwas tun wir nicht. Wenn wir Rückschläge erleben, werfen wir deshalb nicht das Handtuch, sondern arbeiten mit dop-pelter Entschlossenheit weiter. Es war von Anfang an klar, dass die Aufgabe, Europa zu reformieren und Großbritanniens Platz in einem reformierten Europa zu sichern, ein langer und beschwerlicher Feldzug sein würde, und dies war nur eine Schlacht in diesem Feldzug, in dem es mal auf und mal ab geht, in dem es Siege und Niederlagen gibt. Ein Tanker wie die EU lässt sich nicht so ohne weiteres wenden. Das ist eine schwierige Aufgabe, und dessen waren wir uns immer bewusst.

Aber denen, die jetzt sagen „Das beweist, dass man in Europa gar nichts ändern kann“, würde ich entgegenhalten: Wir haben aber doch schon viel verändert! Es wurde behauptet, wir könnten den EU-Haushalt nicht kürzen – aber genau das haben wir getan, zum ersten Mal in den langen Jahren britischer Mitgliedschaft.

[parteipolitischer Inhalt ausgelassen]

Wir kommen auch voran beim Binnenmarkt und bei den Freihandelsabkommen, die unerlässlich sind für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Geschäftsmöglichkeiten in Großbritannien. Das sind echte Veränderungen – und die haben wir erreicht.

Und was mein persönliches Ansehen in Europa angeht, so hat diese Geschichte eines bewiesen: Ich tue, was ich sage, und ich lasse mich nicht davon abbringen. Wer in Europa geglaubt hatte, ich würde schon klein beigeben, der muss jetzt umdenken. Mir ist es wichtig, dass die Menschen in Großbritannien und unsere europäischen Partner das über mich wissen, bevor die Verhandlungen ernsthaft beginnen, wenn ich als Premierminister wiedergewählt werde.

Welche Erkenntnis nehme ich also mit aus dieser Episode, die wir jetzt hinter uns lassen? Dass die Aufgabe schwer ist, und dass sie noch schwerer geworden ist. Aber meine Entschlossenheit zum Erfolg, um Großbritanniens und um Europas willen, ist noch größer.

In den Wahlen zum Europäischen Parlament haben die Menschen laut nach Veränderungen gerufen. Nicht nur in Großbritannien, sondern auf dem ganzen Kontinent. Sie sind zutiefst frustriert, und sie verdienen es, gehört zu werden. Ich bin dazu entschlossen, Großbritannien zum Sprachrohr dieser Menschen zu machen. Ich werde auch in Zukunft für unsere Prinzipien eintreten, für Großbritan¬niens Interessen kämpfen, mit allen meinen Kräften darum ringen, dass die EU in den nächsten paar Jahren reformiert wird.

Und Ende 2017 entscheide nicht ich, und auch nicht unser Parlament oder Brüssel, über Großbritanniens Zukunft in der Europäischen Union, sondern die Bürger Großbritanniens.

Veröffentlicht am 30 June 2014