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Rede von Finanzminister Osborne zum Tag der Deutschen Industrie in Berlin

Osborne: „Großbritannien und Deutschland sollten partnerschaftlich auf eine Europäische Union hinarbeiten, die für uns alle besser funktioniert“.

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Rede von Finanzminister George Osborne zum Tag der Deutschen Industrie des BDI am 3. November 2015 in Berlin

Es ist eine große Ehre für mich, dass ich eingeladen wurde, heute vor dieser beeindruckenden Versammlung von Vertretern der deutschen Industrie und Innovationskraft zu sprechen.

Ich bin nach Berlin gekommen, um über Handel zu sprechen – Großbritannien und Deutschland handeln mit Gütern und Dienstleistungen im Wert von €140 Mrd. jährlich.

Ich bin gekommen, um über Investitionen zu sprechen – Großbritannien und Deutschland haben €1,9 Billionen in der jeweils anderen Wirtschaft investiert.

Ich bin gekommen, um über die Wirtschaft zu sprechen – deutsche Unternehmen wie BMW, Bosch und Siemens sind bekannte Namen in Großbritannien, während Deutschland für britische Unternehmen wie Rolls Royce, GlaxoSmithKline und Vodafone zu den größten Absatzmärkten zählt.

Ich war gerade in einer Siemens-Fabrik in Berlin, die Gasturbinen herstellt, die nach Großbritannien verkauft werden. Aber die Turbinenschaufeln werden in Birmingham gefertigt, nach Deutschland exportiert und dann nach Großbritannien reexportiert.

Ich bin also gekommen, um über unsere Wirtschaftsbeziehungen zu sprechen, aber ich möchte auch über eine Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern reden, die zeit meines Lebens unserem Kontinent Frieden und Sicherheit beschert hat.

Und ich bin gekommen, um über die Werte zu sprechen, die wir teilen. Die Wertegemeinschaft, die wir beide aufbauen wollen.

Eine Wertegemeinschaft, die auf gegenseitigem Respekt und Toleranz für Unterschiede beruht, auf Offenheit und einem Bekenntnis zur Freiheit.

Jedes Mal, wenn ich nach Berlin komme, werde ich daran erinnert, was für ein Symbol der Freiheit diese Stadt mein ganzes Leben lang gewesen ist.

In meiner Kindheit war diese Stadt geteilt, genau wie unser Kontinent.

Und diese Teilung hatte für meine Familie – wie für so viele Familien in Europa – spürbare Auswirkungen.

Meine Großmutter war Ungarin. Sie ist in Budapest geboren und hat einen Engländer geheiratet.

Während des größten Teils ihres Lebens konnte sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren.

Meine Mutter erinnert sich, wie 1956, als sie noch ein Kind war, Flüchtlinge des Ungarn-Aufstands ihr Haus in Nord-London füllten. Sie erzählte mir neulich, wie unglaublich verschieden die Menschen waren, die in jenem Herbst vor der Tür standen.

An einem Tag hatten sie einen Professor von der Universität Budapest, der auf einer Matratze auf dem Boden schlief.

Am nächsten Tag kam ein Schafhirte, der aus einer ländlichen Gegend Ungarns geflohen war und bis nach London gekommen war.

Ich selbst erinnere mich natürlich, wie ich als junger Mann die Schlangen von Flüchtlingen sah, die 1989 die ungarische Grenze überquerten. Diese Nacht, in der wir alle zusammen vor unserem Fernseher saßen, um mitzuerleben, wie die Mauer, die durch diese Stadt verlief, buchstäblich niedergerissen wurde, war der außergewöhnlichste, aufregendste und beglückendste politische Moment in meinem ganzen Leben.

Ich hätte nie gedacht, dass ich 25 Jahre später als britischer Finanzminister mit Wolfgang Schäuble zusammenarbeiten würde, dem bemerkenswerten Mann, der den Vertrag über die Vereinigung Deutschlands ausgehandelt und unterzeichnet hat.

Gestern habe ich mit Wolfgang [Schäuble] zu Abend gegessen – er hat mich in ein italienisches Restaurant ausgeführt – und wir haben festgestellt, dass wir die beiden dienstältesten Finanzminister Europas sind.

Am Tisch der G7-Staaten haben wir 18 andere Finanzminister kommen und gehen gesehen.

Und in den vielen Gesprächen, die ich im Laufe der Jahre mit Wolfgang führte, sprachen wir über die Geschichte Großbritanniens und Deutschlands, die tiefen Verbindungen zwischen unseren beiden Kulturen, und auch die gemeinsamen Werte der Toleranz und der Freiheit – die Wertegemeinschaft, von der ich gesprochen habe – die wir heute, jeder auf seine Weise, auf die Herausforderungen unserer Zeit anwenden.

In Deutschland werden diese Werte heute sichtbar – sie zeigen sich in Ihrem Umgang mit den Massen von Flüchtlingen, die in Ihrem Land Zuflucht suchen. Und angesichts der vielen Herausforderungen und Belastungen, die dadurch entstehen, ist die ganze Welt beeindruckt von Ihrer Großzügigkeit und Gastlichkeit gegenüber den Menschen, die vor dem Konflikt fliehen und ein besseres Leben suchen.

Auch Großbritannien hat als Land, das Menschen in der Not hilft, eine lange Tradition.

Es hat Europas multi-ethnischste und vielfältigste Gesellschaft, und wir haben in unserem Land eine rasch wachsende Bevölkerung.

Und als einziges größeres Land der Welt werden wir in diesem Jahr 0,7 Prozent des Nationaleinkommens für ausländische Entwicklungshilfe ausgeben.

Für die Hilfe in der Region um Syrien geben wir viel mehr aus als jedes andere europäische Land.

Unsere militärische Präsenz dort ist größer als die jedes anderen europäischen Landes.

Und weil dieser enorme Einsatz britischer Ressourcen und britischer militärischer Anstrengungen Familien an der syrischen Grenze zugute kommt, werden viele von ihnen nicht mehr das Bedürfnis haben, diese gefährliche Reise über das Mittelmeer überhaupt anzutreten.

Gewiss, wir gehören nicht zum europäischen Schengen-Raum. Das hat mit der Geschichte unserer Insel zu tun. Aber wir werden Ihnen helfen, in Ländern wie Griechenland Europas Außengrenzen zu verstärken.

Denn Großbritannien und Deutschland sind beide Länder, die sich vor ihrer Verantwortung nicht drücken – sondern bereit sind, sie zu übernehmen.

Und jetzt haben wir beide auch die Verantwortung, in Europa eine wirtschaftliche Führungsrolle zu übernehmen.

Denn Fakt ist: wir sind Europas Wachstums- und Beschäftigungsmotor.

Seit dem Konjunktureinbruch vor 7 Jahren ist die Wirtschaft in unseren beiden Ländern um den gleichen Prozentsatz gewachsen – 13 Prozent. Im übrigen Europa betrug das Wachstum lediglich 4 Prozent.

Zusammen erzeugen wir zwei Drittel des gesamten Wirtschaftswachstums in Europa.

Und während wir zusammen über 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen haben, sind auf dem übrigen Kontinent Arbeitsplätze verloren gegangen. Warum haben unsere beiden Volkswirtschaften Erfolg gehabt, während so viele andere mit Problemen kämpften?

Ich denke, weil wir uns der Herausforderung der Reform gestellt haben.

Wir haben beide schwierige Entscheidungen getroffen, um unsere Arbeitsmärkte flexibler zu machen – nicht, damit es einfacher würde, Leute zu entlassen, sondern weil es einfacher werden sollte, Leute einzustellen.

Wir haben beide schwierige Entscheidungen getroffen, um unsere Staatshaushalte zu sanieren und nicht über unsere Verhältnisse zu leben.

Sie haben in diesem Jahr einen Haushaltsüberschuss erreicht; und ich werde demnächst die Maßnahmen vorstellen, die notwendig sind, damit wir einen Überschuss erreichen. Denn wir wissen beide: ohne gesunde Finanzen gibt es keine wirtschaftliche Sicherheit.

Wir sind zwei Länder, die den neuen, aufstrebenden Ländern Asiens die Hand der wirtschaftlichen Partnerschaft gereicht haben. Bei einem Exportvolumen von €87 Mrd. sind Sie der mit Abstand wichtigste europäische Exporteur nach China, während China in Großbritannien mehr investiert als in Frankreich, Italien und Deutschland zusammen.

Unsere beiden Länder haben Gesellschaftssysteme, die harte Arbeit achten, in die Wissenschaft investieren und neue Technologien begrüßen.

Vier der Top-10-Universitäten der Welt sind in Großbritannien; und Deutschland führt die europäische Liga bei Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Gemeinsam bemühen wir uns intensiv, Europas Produktivität zu steigern.

Diese deutsch-britische Partnerschaft zeigt sich auch bei dem neuen Formel-1-Weltmeister – dem Können des britischen Fahrers Lewis Hamilton, und der Kraft eines deutschen Mercedes, der ihm zum Erfolg verhilft. Ich stelle fest: Das schnellste Auto, das Mercedes baut, ist das einzige, das das Unternehmen in Großbritannien baut.

Wir haben also die Wirtschaftsreform in unseren eigenen Ländern vorangebracht.

Und wir haben gesehen, wie andere Länder wie Spanien und Irland für ihre Reformanstrengungen belohnt wurden.

Jetzt gilt es die Wirtschaftsreform auf unserem ganzen Kontinent, in der Europäischen Union, voranzutreiben.

Ich habe gesagt, dass die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern auf gemeinsamen Werten beruht. Zu diesen Werten gehört auch, dass wir nicht auf zentraler Uniformität bestehen, sondern dass wir Unterschiede in der Geschichte, Tradition und Herangehensweise respektieren.

Dieser Respekt für Unterschiede hat im Vereinigten Königreich vier Nationen zusammengeführt, und dieser Respekt hat auch ehemalige Königreiche wie Sachsen und Bayern mit Stadtstaaten wie Hamburg und Bremen zur überaus erfolgreichen Bundesrepublik vereint.

Wir sollten diesen Respekt auch für die unterschiedlichen Ansätze unserer beiden Länder in Bezug auf die Europäische Union aufbringen.

Ich habe enormen Respekt für die Führungsrolle, die Deutschland neben anderen Ländern wie Frankreich, Italien und den Niederlanden zunächst bei der Gründung der Europäischen Union gespielt hat, und jetzt auch für die Anstrengungen, die Sie unternehmen, damit die gemeinsamen europäischen Grenzen funktionieren und die Eurozone ein starker und belastbarer Währungsraum ist.

Lassen Sie mich eines klarstellen: Wir wollen, dass Sie bei allen diesen Bemühungen Erfolg haben. Dies liegt voll und ganz im Interesse Großbritanniens, von dem Europas gar nicht zu reden.

Umgekehrt weiß ich auch, dass Sie es respektieren, dass Großbritannien ein anderes Verhältnis zur Europäischen Union hat.

Wir gehören der gemeinsamen Währung nicht an.

Und wir gehören auch nicht zum Schengen-Raum.

Aber wir haben einen großen Anteil an der europäischen Wirtschaft.

Nach Ihnen zahlen wir den größten Beitrag zum europäischen Haushalt.

Zusammen mit Frankreich stellen wir die militärischen Fähigkeiten, die dafür sorgen, dass Europas Stimme in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen weltweit gehört wird. Und in Partnerschaft mit Ihnen und unseren Freunden in Paris haben wir den nötigen diplomatischen Einfluss, um zur Lösung der Tragödie in Syrien beitragen und versuchen zu können, Iran aus dem Abseits zu holen.

Sie werden mir vermutlich zustimmen, dass Großbritannien Europas stärkster und konsequentester Anwalt für die Erweiterung des Binnenmarkts der EU, den Abschluss von Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen Teilen der Welt, und die Erweiterung der EU zunächst um die Länder Mittel- und Osteuropas und jetzt auf dem Balkan gewesen ist.

Wie Sie wissen, setzen wir uns seit Jahren für stärkere Verbindungen zur Türkei ein.

So haben auch wir einen großen Beitrag zur Entwicklung der Europäischen Union geleistet.

Die Frage, vor der Großbritannien jetzt steht, ist, ob wir in der EU bleiben oder austreten.

Das Gesetz schreibt uns vor, diese Frage dem britischen Volk spätestens bis Ende 2017 in einem Referendum vorzulegen.

Verbleib oder Austritt, unsere Demokratie verlangt von uns, dass wir diese Frage stellen, denn offen gesagt, will das britische Volk nicht Teil einer immer engeren Union sein.

Wir werden als Staaten nicht erfolgreich sein, wenn wir uns vor den großen Themen drücken oder glauben, den wichtigen Fragen ausweichen zu können.

Wir wollen, dass Großbritannien in einer reformierten Europäischen Union bleibt.

Aber es muss eine Europäische Union sein, die für alle Bürger Europas und auch für Großbritannien besser funktioniert.

Ein Europa, in dem wir nicht mehr Teil der immer engeren Union sind, die Ihnen weniger Probleme bereitet.

In Großbritannien wird dieses Konzept, das meist als Bekenntnis zu einer immer engeren politischen Integration interpretiert wird, jetzt nur noch von einer winzigen Minderheit der Wähler unterstützt.

Ich glaube, darin liegt auch der Grund für einige der Differenzen zwischen Großbritannien und unseren europäischen Partnern. Die immer engere Union ist für uns nicht mehr das Richtige.

Genau darum geht es in den Gesprächen, die wir jetzt zunehmend intensiv mit der deutschen Regierung, anderen Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament führen.

Wie also sollte eine bessere Europäische Union aussehen?

Hierfür sind eine Reihe von Änderungen nötig.

Wenn Freizügigkeit dauerhaft funktionieren soll, muss unsere Öffentlichkeit sie als Freiheit, anderswo zu arbeiten, betrachten und nicht als Freiheit, sich die großzügigsten Sozialleistungen auszusuchen.

Wenn es möglich sein soll, Politiker zur Verantwortung zu ziehen, dann muss die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt werden.

Als britischer Finanzminister mit Zuständigkeit für die Wirtschaftspolitik möchte ich mich heute in meiner Rede vor der deutschen Industrie auf zwei weitere konkrete Änderungen konzentrieren – und Sie um Ihre Unterstützung bitten.

Ich glaube nämlich, dass diese Änderungen nicht nur in unserem Interesse sind, sondern im Interesse der gesamten Europäischen Union, Deutschland eingeschlossen.

Ich begrüße es deshalb sehr, was Bundeskanzlerin Merkel hier vor einer Stunde gesagt hat, als sie unseren Verhandlungen ihre Unterstützung zusagte; und sie hat gesagt, wenn es um Anliegen wie Wettbewerbsfähigkeit und eine bessere Funktionsfähigkeit der EU gehe, seien britische Anliegen auch ihre Anliegen.

Was also sind diese Änderungen? Die erste betrifft die Stärke und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft.

Europa verliert gegenüber der übrigen Welt an Boden, und den Preis hierfür zahlen unsere Bürger.

Ein Fünftel der jungen Menschen in der Europäischen Union findet keine Arbeit.

US-amerikanische Firmen können innerhalb von wenigen Tagen neue Produkte zugelassen bekommen und auf den Markt bringen, aber in Europa kann das Wochen oder Monate dauern.

Und vor 10 Jahren schätzte die Kommission den Bürokratieaufwand für Unternehmen in der EU auf jährlich €125 Mrd. Wir haben hier Fortschritte gemacht, aber die Kosten sind nur um ein Viertel reduziert werden – es muss noch viel mehr geschehen. Lassen Sie uns klar sagen, was hier auf dem Spiel steht.

Wenn die EU sich über die Preise vom Weltmarkt verdrängen lässt, wird die nächste Generation keine Arbeit finden, der Lebensstandard sinkt, und die Union verliert den Rückhalt der Bevölkerung in Europa.

Der Niedergang der europäischen Wirtschaft ist nicht unvermeidbar. Keineswegs. Unser Schicksal liegt in unseren Händen, und wir haben heute durchaus die Instrumente, um diesen Trend umzukehren.

Die britische Regierung hat zusammen mit anderen wie Ihnen und den Niederlanden hart darum gekämpft, den Abbau der Bürokratie auf die Agenda der EU zu setzen.

Jetzt ist es unter anderem Jean-Claude Juncker und Frans Timmermans gelungen, den Umfang an neuer Regulierung von Seiten der Kommission um 80 Prozent zu reduzieren. Das ist eine echte Leistung, die wir würdigen sollten.

Aber wir müssen uns auch die bestehenden EU-Vorschriften vornehmen – und hierfür sollten wir klare Ziele vorsehen, und wirksame Verfahren, um sie zu erreichen.

Von der Einigung auf eine Senkung der Roaming-Gebühren für Mobiltelefonate werden alle Bürger Europas direkt profitieren – das ist ein Beispiel dafür, wie der Binnenmarkt sich zugunsten der Bürger auswirkt.

Wo aber bleibt im Zeitalter des Internet der digitale Binnenmarkt?

Ich kann, während ich hier in Berlin bin, in einem deutschen Musikladen mit meiner britischen Kreditkarte eine CD kaufen, aber ich kann mich nicht mit meinem britischen Konto in eine deutsche Webseite einloggen und ein Lied herunterladen.

Wir treffen uns als Europäer immer wieder bei Konferenzen wie dieser und lamentieren darüber, dass die international führenden Internetunternehmen nicht in Europa entstehen; aber das liegt daran, dass wir hier in der EU nicht den weltweit größten Markt für sie geschaffen haben.

Das sollten wir tun, und zwar jetzt – nicht in zwei oder fünf Jahren.

Die Kapitalmarktunion hat das Potential, den europäischen Unternehmen, besonders den kleinen und mittleren, einen kräftigen Schub zu geben.

Ich gratuliere Kommissar Jonathan Hill zu dieser Leistung.

Aber seien wir ehrlich: einige der Vorschriften und Regeln, die Europa sich selbst auferlegt hat, haben dafür gesorgt, dass die Standortbedingungen auf diesem Kontinent für Finanzdienstleistungsunternehmen weniger wettbewerbsfähig sind.

Das ist nicht im Interesse Großbritanniens, in dem das größte Finanzzentrum der Welt beheimatet ist, aber es ist auch nicht im Interesse Deutschlands, wenn die Zentren der europäischen Finanzen aus Europa abwandern.

Wir haben beide große Dienstleistungsindustrien – Dienstleistungen machen 70 Prozent der deutschen und 80 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung aus.

Trotzdem ist der Handel mit Dienstleistungen in Europa viel zu gering. Wir haben zugelassen, dass die Gegner der Wirtschaftsreform und der Liberalisierung der Dienstleistungen sich durchsetzen konnten. Wir sollten den Binnenmarkt für Dienstleistungen vollenden und Millionen von Arbeitsplätzen schaffen.

Ich begrüße die Binnenmarktstrategie, die die Kommission vorige Woche veröffentlicht hat. Sie entspricht weitgehend dem, was Großbritannien von ihr erwartet hat. Aber jetzt sollten wir das Strategiepapier in die Realität umsetzen.

Das Freihandelsabkommen, das die EU mit Südkorea geschlossen hat, wird der britischen Wirtschaft schätzungsweise £500 Mio. jährlich einbringen.

Aber die Handelsabkommen mit Japan und Amerika und ein Investitionsabkommen mit China warten noch auf ihren Abschluss.

Es wäre schön, wenn Großbritannien und Deutschland, deren Städte einst die großartige Hanse bildeten, sich jetzt zusammenschließen würden, um die Kräfte des Protektionismus zu überwinden – und Europa zum Zentrum eines globalen Netzwerks von Freihandelsabkommen zu machen. Ich begrüße die starke Führung, die Angela Merkel hier und auf so vielen anderen Gebieten beweist.

Der Plan und die Politik stehen also. Wir kommen voran, aber alles geht zu langsam.

Wir müssen einen Gang zulegen.

Wir müssen Europa wettbewerbsfähiger machen, es zu einem guten Standort für die Gründung und den Aufbau von Unternehmen machen, dafür sorgen, dass die Politik der EU die Voraussetzungen für Beschäftigung und Wachstum und Innovation schafft. Dann sind wir auf dem richtigen Weg, um der EU wieder die Unterstützung ihrer Bürger – einschließlich der britischen Bürger – zu sichern.

Das ist die Änderung, die wir anstreben, und wir möchten, dass Sie uns dabei helfen.

Es gibt noch eine zweite Änderung, die wir uns in der EU wünschen: wir müssen das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten in der Eurozone und denen außerhalb korrigieren, damit es für alle besser funktioniert.

Auch das liegt im Interesse Großbritanniens und Deutschlands – also helfen Sie uns dabei.

Im August haben Sie, Herr Grillo, als Präsident des BDI einen offenen Brief geschrieben, in dem Sie anerkannt haben, dass Länder wie Großbritannien nicht zu einer immer engeren Integration gezwungen werden sollten.

Ich denke, das ist ein sehr gutes Beispiel für die Hilfe, die Sie leisten können, und ich danke Ihnen dafür.

Wie viele in Deutschland erkannt haben, bietet die EU, so wie sie gegenwärtig konstituiert ist, nicht die erforderliche starke Rechts- und Verfassungsgrundlage, um den Euro – wie von Ihnen gewünscht – zu einer stärkeren Währung zu machen.

Ideen wie die Bankenunion und der Einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus sind echte Fortschritte, aber sie wurden im Rahmen von Regierungsvereinbarungen und ungeeigneten Binnenmarktbestimmungen entwickelt.

Auch die Art von verbindlichen Zusagen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in anderen Euro-Ländern werden Sie auf der Basis des jetzigen Rechtsrahmens nicht erwirken können.

Nach der unausweichlichen Logik der Währungsunion werden die Verträge letztendlich geändert werden müssen, um die Voraussetzungen für die Finanz- und Wirtschaftsunion zu schaffen, die Sie für eine dauerhaft stärkere Eurozone benötigen, und wir wollen ja auch, dass Sie eine stärkere Eurozone aufbauen.

Andererseits taugen die derzeitigen Regelungen der Europäischen Union auch nicht für Länder wie Großbritannien, die den Euro nicht haben.

Schon die Tatsache, dass die Verträge einfach behaupten, der Euro sei die Währung der EU, beweist, dass sie die heutige Realität eines Europas mit vielen Währungen nicht widerspiegeln.

Wolfgang [Schäuble] und ich haben letztes Jahr in einem gemeinsamen Artikel für die Financial Times festgestellt, dass es “mit zunehmender Integration des Euroraums wichtig ist, dass Länder außerhalb des Euroraums in der EU nicht systematisch benachteiligt werden.

Zukünftige EU-Reformen und Vertragsänderungen müssen deshalb eine Reform des ordnungspolitischen Rahmens beinhalten, damit die Integration des Euroraums auf eine solide Rechtsbasis gestellt wird, und jenen EU-Ländern innerhalb des Binnenmarkts, aber außerhalb der gemeinsamen Währung, Fairness garantieren.”

Lassen Sie mich also offen sagen: wir müssen eine Regelung finden, und wir können zusammenarbeiten.

Anstatt Ihnen im Weg zu stehen oder ein Veto gegen die nötigen Vertragsänderungen einzulegen, kann Großbritannien Sie in der Eurozone darin unterstützen, jene dauerhaften Änderungen vorzunehmen, die Sie zur Stärkung des Euro benötigen.

Im Gegenzug können Sie uns helfen, die Änderungen vorzunehmen, die wir brauchen, um die Interessen der Nicht-Euro-Länder zu schützen.

Welches sind nun diese Änderungen?

Lassen Sie mich hierzu mehr sagen, als wir bisher in der Öffentlichkeit gesagt haben: was sie sind, und was sie nicht sind.

Wir wollen kein neues Opt-out für Großbritannien in diesem Bereich – wir haben das Opt-out von der gemeinsamen Währung, das wir brauchen.

Wir wollen auch kein Vetorecht bei dem, was Sie in der Eurozone tun.

Was wir aber wollen, sind Prinzipien, die im EU-Recht verankert und für die EU-Institutionen verbindlich sind und die Wirkungsweise der Union für alle 28 Mitgliedstaaten garantieren.

Diese Prinzipien müssen die Integrität des Europäischen Binnenmarkts untermauern.

Hierzu gehört die Anerkennung, dass die EU mehr als eine Währung hat und dass wir kein Unternehmen aufgrund der Währung des Landes, in dem es sich befindet, diskriminieren dürfen.

Diese Prinzipien müssen dafür sorgen, dass die Eurozone, wenn sie sich stärker integrieren will, dies auf eine Weise tut, die den Interessen der Nicht-Euro-Länder nicht schadet.

Es wird Fälle geben, in denen Nicht-Euro-Staaten sich an Projekten wie der Bankenunion beteiligen wollen. Aber diese Beteiligung muss dann freiwillig sein, sie darf nie zwangsweise erfolgen.

Wir dürfen niemals Steuerzahler in Ländern, die den Euro nicht eingeführt haben, zur Kasse bitten, um Länder in der Eurozone zu unterstützen.

Genau so ein Versuch wurde im Juli unternommen, als wir aus heiterem Himmel, als flagranten Verstoß gegen das Abkommen, das wir alle unterzeichnet hatten, und sogar ohne die Höflichkeit eines Telefonanrufs erfuhren, dass wir möglicherweise zahlen müssten, um Griechenland zu retten.

Das wäre mehr als unfair gewesen.

Wir haben uns – mit deutscher Hilfe – vehement dagegen gewehrt, und mit Erfolg.

Aber eigentlich sollten wir uns in solchen Fragen nicht streiten müssen.

Wir müssen die Dinge ordentlich regeln, mit gemeinsam vereinbarten Grundsätzen.

Wir müssen anerkennen, dass ebenso wie Finanzstabilität und Bankenaufsicht zu Recht eine zentrale Zuständigkeit von Institutionen der Eurozone wie der Europäischen Zentralbank geworden sind, Finanzstabilität und Bankenaufsicht in Nicht-Euro-Ländern in die Zuständigkeit einzelstaatlicher Institutionen wie der Bank of England gehören.

Wir können das gewährleisten und gleichzeitig den Aufbau des Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen vorantreiben.

Und diese Prinzipien müssen anerkennen, dass wir allesamt Partner in dieser Europäischen Union sind – wenn es Fragen gibt, die alle Mitgliedstaaten betreffen, dann sollten sie angesprochen, diskutiert und von allen Mitgliedstaaten entschieden werden.

Diese Prinzipien wollen wir fest verankern und rechtsverbindlich machen, und wir wollen einen einfachen Mechanismus konzipieren, der die Durchsetzung dieser Prinzipien garantiert.

Mit Kontrollen und Garantien, wie es sie auch in anderen Teilen des EU-Regelwerks gibt.

Heute gebe ich erstmals mehr Details zu den Änderungen bekannt, die wir haben möchten, um in der Europäischen Union zu bleiben.

In Bezug auf das Verhältnis zwischen denen, die den Euro benutzen, und denen, die ihn nicht benutzen, kann eine Einigung so aussehen:

Sie bekommen eine Eurozone, die besser funktioniert.

Wir bekommen die Garantie, dass uns keine Beschlüsse oder Kosten der Eurozone aufgezwungen werden.

Sie bekommen einen stärkeren Euro.

Wir sorgen dafür, dass die “Stimme” des Pfundes gehört wird, wo sie gehört werden sollte.

Eine Einigung, die festgeschrieben wird.

Eine Einigung, die gut für Großbritannien ist.

Und eine Einigung, die auch für Deutschland gut ist.

Das Ergebnis wird eine bessere Europäische Union sein.

Wirtschaftlich stärker – damit sie international wettbewerbsfähiger wird und die Schaffung von Arbeitsplätzen und höhere Lebensstandards für alle ihre Bürger begünstigt.

Stärker aufgrund ihrer Verfassung – damit sie sowohl für die 19 Länder der Eurozone wie auch für die 28 Länder des Binnenmarkts besser funktioniert.

Ich bitte Sie, mit uns zusammenzuarbeiten, um diese Änderungen vorzunehmen und eine Partnerschaft einzugehen.

Eine Partnerschaft der beiden stärksten Volkswirtschaften Europas.

Eine Partnerschaft zweier Nationen, die Unterschiede respektieren und offen für Vielfalt sind.

Eine Partnerschaft zweier Nationen, die die Werte Toleranz und Offenheit und Freiheit teilen.

Eine Partnerschaft zweier Nationen, die zusammenarbeiten, um jene Wertegemeinschaft in Europa aufzubauen.

Ich wünsche mir, dass Großbritannien und Deutschland als Partner auf eine Europäische Union hinarbeiten, die für uns alle besser funktioniert.

Und allen unseren Bürgern eine schönere und sicherere Zukunft beschert.

Dankeschön.

Veröffentlicht am 3 November 2015
Letzte Aktualisierung am 3 November 2015 + show all updates
  1. Updated as delivered (previously draft text).

  2. First published.