Rede

Europas neues Gleichgewicht – welche EU-Reformen notwendig sind

Rede des britischen Staatsministers für Europa David Lidington beim 16. WDR Europaforum 2013 am 16. Mai 2013 in Berlin.

Veröffentlicht wurde dies unter der 2010 to 2015 Conservative and Liberal Democrat coalition government
Minister for Europe

Meine Damen und Herren, Exzellenzen, verehrte Gäste. Es ist ein echtes Privileg, beim WDR-Europaforum sprechen zu dürfen, und immer wieder ein Vergnügen, in Berlin zu sein.

Berlin liegt natürlich seit langem im Zentrum Europas. Aber sein Gesicht hat sich zu meinen Lebzeiten gewaltig verändert. Ich war als Schüler in den 70er Jahren hier und habe noch sehr lebhafte Erinnerungen an die geteilte Stadt. Ich erinnere mich daran, dass ich auf dem Bahnhof Friedrichstraße umsteigen musste, an die Wachsoldaten, die auf der Galerie unter dem Dach patrouillierten, an die Stadtbrache des Niemandslands – die Stacheldrähte, die Minenfelder, und natürlich die Mauer selbst.

Und ich erinnere mich auch, ein paar Jahre später, an Travemünde an der Ostseeküste. An den Kontrast. Auf der westlichen Seite ein Strand voll von Urlaubern, die die Sonne genossen. Im Osten ein ähnlicher Strand. Leer. Und in der Mitte der Bucht, gerade sichtbar, eine düstere Reihe von Bojen, die den Verlauf der Grenze markierten.

Wenn man diese Erinnerungen mit der heutigen Situation vergleicht, lässt sich kaum beschreiben, wie viel seit 1989 erreicht wurde – hier in Berlin, in Deutschland und in Europa.

Als gelernter Historiker schaue ich zurück auf die zwanzig Jahre, die auf das Ende des Ersten Weltkriegs folgten – ein demokratischer Frühling, der von politischem Extremismus, rechtem wie linkem, erstickt wurde – und vergleiche sie mit den zwanzig Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer.

Was Europa erreicht hat – die dauerhafte Verankerung demokratischer Institutionen, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit auf einem Teil unseres Kontinents, wo diese Werte den größten Teil des 20. Jahrhunderts unterdrückt worden waren – ist eine wirklich bemerkenswerte, historische Leistung.

Aber wir können diese Stabilität und diesen Wohlstand nicht als selbstverständlich betrachten, das hat uns die aktuelle Wirtschaftskrise deutlich gezeigt. Wir müssen unsere Demokratien immer wieder erneuern und stärken.

Als ich vor drei Jahren Staatsminister für Europa wurde, nahm ich mir persönlich vor, für ein besseres Verständnis der deutschen Interessen zu werben und die britisch-deutsche Zusammenarbeit auf allen Feldern der Europapolitik zu fördern.

Ich habe zusammen mit meinem deutschen Freund und Gegenüber, Michael Link, einen Prozess in Gang gebracht für bilaterale Konsultationen zwischen dem deutschen Ausschuss der Europa-Staatssekretäre und dem European Affairs Sub-Committee, dessen Vorsitzender ich bin. In den letzten 18 Monaten haben wir drei Treffen abgehalten.

Außerdem sind in letzter Zeit viermal so viele britische Minister zu bilateralen Gesprächen nach Deutschland gekommen, zuletzt im vergangenen Monat unser Premierminister David Cameron.

Und wir können – wenn auch aus anderen Gründen – davon ausgehen, dass der eine oder andere deutsche Politiker am 25. Mai den Weg nach London finden wird.

Es ist vielleicht nicht der Tag, an dem der Fußball für britische Vereine „nach Hause kommt“, aber wir freuen uns trotzdem darauf, das Endspiel der Champions‘ League im Wembley-Stadion auszurichten und das fußballerische Können des FC Bayern München und des BVB Dortmund zu erleben. Da noch keine Torlinientechnologie eingesetzt wird, können wir nur hoffen, dass dies nicht zu einem 50 Jahre währenden Streit über das Ergebnis führen wird!

Hintergrund

Ich freue mich sehr, bei dieser Veranstaltung heute über die Reform Europas sprechen zu können. Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, ist in Großbritannien gerade eine lebhafte Diskussion hierüber im Gange!

Einführung

Aber diese Debatte ist nicht auf Großbritannien beschränkt, und auch die notwendigen Reformen betreffen nicht nur ein Mitgliedsland. Auf dem ganzen Kontinent werden die gleichen Fragen gestellt.

Ganz Europa steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Teilweise geht es darum, die Krise in der Eurozone zu überwinden, grundlegender aber um unsere Reaktion auf eine Krise der Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents angesichts der relativen Verlagerung der Wirtschaftskraft nach Süden und Osten.

David Cameron und Bundeskanzlerin Merkel haben sich in dieser Sache besonders engagiert: sie setzen sich gemeinsam dafür ein, den Binnenmarkt zu vertiefen, die Belastung unserer Wirtschaft durch Regulierung zu verringern und die Handelsbeziehungen zur übrigen Welt zu stärken, auch durch ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten, das bahnbrechend wäre.

Ich möchte mich heute auf einen anderen Aspekt dieser Krise konzentrieren, ein Thema, das unseren beiden Nationen sehr am Herzen liegt: die Demokratie in Europa.

In einer Zeit des Umbruchs, vor allem im Euro-Raum, hat das Vertrauen in die EU ein Rekordtief erreicht, die allgemeine Unzufriedenheit mit ihr hingegen ein Rekordhoch. Allzu häufig wird die EU als ineffizient gesehen, als abgehoben von der realen Welt. Der europäische Normalbürger hat nicht den Eindruck, dass seine Stimme zählt.

In seiner jüngsten Rede über Europa bezeichnete mein Premierminister die demokratische Zustimmung zur EU in Großbritannien als hauchdünn.

Auch das ist nicht nur ein britisches Phänomen. In ganz Europa sind populistische Parteien aus dem Boden geschossen, teilweise auf einem Nährboden aus Ablehnung der EU und einer Politik, die immer wieder in die gleiche Richtung geht.

Die Politiker sollten aber Meinungsführer sein und die öffentliche Debatte gestalten.

Genau das hat David Cameron mit seiner Europa-Rede im Januar getan. Er hat entschieden argumentiert, dass die Mitgliedschaft in der EU im strategischen nationalen Interesse Großbritanniens liege. Dass jedoch eine Reform notwendig sei, nicht nur, damit die Briten keine Probleme mit der Mitgliedschaft hätten, sondern damit alle Europäer finden, dass die EU auf ihre Bedürfnisse und Erwartungen eingeht.

Ich möchte heute Nachmittag über die Herausforderungen sprechen, vor denen die Demokratie in der Union steht. Und ich werde darlegen, dass wir viel davon lernen können, wie Deutschland sie angeht, zum Beispiel in den Fragen, wie Befugnisse auf die örtliche Ebene delegiert werden können, wie Verbindungen zwischen der EU-Ebene und der staatlichen Ebene geschaffen werden können und wie Parlamente Brüssel zur Rechenschaft ziehen.

Das demokratische Defizit: das Problem

Das Demokratiedefizit in der EU ist kein neues Problem. Es ist so alt wie die Europäische Gemeinschaft selbst. Die aktuelle Wirtschaftskrise hat jedoch eine grundlegende Tendenz verschärft. Nach den jüngsten Umfragen von Eurobarometer gibt es klare Anzeichen für einen fundamentalen Mangel an Unterstützung für die EU in fast allen Mitgliedstaaten.

Noch nie war das Vertrauen in die EU so gering wie heute. Es ist von seinem Höchststand vor der Krise – als gut die Hälfte der Befragten positiv antwortete – auf nur noch ein Drittel im letzten Herbst gesunken. Neue Umfrageergebnisse von Pew von dieser Woche bestätigen diesen Abwärtstrend.

Und zum ersten Mal seit Beginn der Eurobarometer-Umfragen 1978 waren mehr Befragte in der EU mit der Art und Weise, wie die Demokratie in der EU funktioniert, unzufrieden als zufrieden.

Vielleicht fragen Sie jetzt, wieso das von Bedeutung ist.

Es ist von Bedeutung, weil stabile Demokratien darauf angewiesen sind, dass die Bürger die Regeln als effektiv und rechtmäßig betrachten, und dass sie glauben, auf Entscheidungen Einfluss nehmen zu können.

Und es ist von Bedeutung, weil die Menschen glauben, dass Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, weit von ihnen entfernt getroffen werden, von Personen und Institutionen, die darüber keine Rechenschaft abzulegen haben.

In einigen Ländern ist es zum Aufstieg von Protestparteien und zu sozialen Unruhen gekommen.

Hier in Deutschland wurde – im Bundestag, in den Medien und im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe – eine heikle (aber notwendige) Diskussion darüber geführt, in welcher Höhe Deutschland für Schulden in der Eurozone haften und wie viel Kontrolle es darüber ausüben sollte, wie deutsche Steuergelder in anderen Ländern ausgegeben werden.

Großbritannien und andere Nicht-Euro-Länder sahen sich mit anderen Problemen konfrontiert, der Frage des gleichberechtigten Zugangs zum Binnenmarkt. Euro- und Nicht-Euro-Länder teilen allerdings die Sorge über die Fairness und Kontrolle der wirtschaftlichen Entscheidungsprozesse – mit anderen Worten, wie das Verhältnis zwischen der EU-27 und der Gruppe der 17 Euro-Staaten aussehen sollten.

Der langfristige Trend

Manche werden vielleicht einwenden, dass der Vertrauensverlust in der EU eine vorübergehende Erscheinung ist und nur mit der aktuellen Krise zu tun hat.

Meine Erfahrung besagt etwas Anderes. Die Erholung der Wirtschaft allein wird das Problem des Demokratiedefizits nicht lösen.

Politiker und Experten zitieren gern große Prinzipien – Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Die Bürger sehen die Angelegenheit praktischer.

Sie fragen sich, warum von der EU festgelegt werden muss, welche Schuhe und welchen Schmuck Frisöre und Frisörinnen tragen dürfen.

Warum sie die Ladenöffnungszeiten nicht selbst bestimmen können, nach örtlichen Traditionen und Gepflogenheiten.

Warum es die EU ist, die die Angabe des Markenzeichens auf Zigarettenpackungen verbieten oder Quoten für Frauen in Vorständen festlegen muss.

Und sie finden es bedenklich, dass ihr örtliches Krankenhaus oder ihre Feuerwehr aufgrund von Urteilen über Arbeitszeiten, die vom weit entfernten Europäischen Gerichtshof gefällt wurden, keinen 24-Stunden-Dienst mehr leisten.

Kurz gesagt: die allgemeine Unzufriedenheit ist nicht nur eine Folge der Wirtschaftskrise, obwohl diese den Trend natürlich verstärkt hat. Sie entspringt vielmehr einem seit langem bestehenden allgemeinen Gefühl, dass die Beschlüsse, die auf europäischer Ebene gefasst werden, weder etwas mit den Bürgern selbst noch mit ihren Interessen zu tun haben.

Wenn man zu Hause, in London oder in Berlin, mit der Regierung nicht zufrieden ist, kann man sie bei der nächsten Wahl abwählen. Auf EU-Ebene ist das nicht so einfach.

Das demokratische Defizit – die Lösung

All das ist weder gut für die Europäische Union, die unsere beiden Nationen mit geschaffen haben, noch für ihre Bürger. Was können wir also tun, damit unsere Wähler sich wieder mehr mit der Europäischen Union identifizieren?

Manche sehen die Antwort auf diese schwierige Frage in einer Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments. Ich muss sagen, mich überzeugt das nicht.

Natürlich spielt das Europäische Parlament eine wichtige Rolle, und seine Mitglieder sind häufig Experten, die sich sehr für ihre Arbeit engagieren.

Aber für mich ist offensichtlich, dass sich die Völker Europas nicht genug mit dem Europäischen Parlament identifizieren. So zum Beispiel wussten bei einer Umfrage sechs Monate vor der letzten Europawahl 2009 drei Viertel der Befragten nicht, in welchem Jahr sie stattfinden würde.

Frühere Versuche, das demokratische Defizit zu beheben, haben sich bei jeder Reform der EU-Verträge darauf konzentriert, die Rolle des Europäischen Parlaments auszubauen. Das hat eindeutig nichts gebracht. Tatsächlich liegt die Wahlbeteiligung bei Europawahlen EU-weit auf Rekordtief, und sie sinkt noch schneller als die bei nationalen Wahlen.

In vieler Hinsicht sollte uns das nicht überraschen. Demokratien werden nicht von Politikwissenschaftlern konstruiert, sondern sind das Produkt der Kultur, der Tradition und der besonderen Umstände unserer jeweiligen Länder. Und wenn die EU für viele europäische Bürger zu künstlich und technokratisch ist, dann sind Lösungen, die selbst künstlich und technokratisch sind, kaum Erfolg versprechend.

Missverstehen Sie mich nicht. Ich will hiermit nicht sagen, dass wir uns mit diesem Scheitern abfinden sollten. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Problem angehen können und müssen. Aber das ist nur möglich, wenn wir im Einklang mit dem handeln, was unsere Bürger wollen, und mit den Institutionen, mit denen sie sich identifizieren.

Als Ausgangspunkt möchte ich deshalb einmal die Tatsache nehmen, die David Cameron in seiner Rede im Janaur angesprochen hat:

Einen einheitlichen europäischen Demos gibt es nicht. Vielmehr sind und bleiben die nationalen Parlamente die eigentliche Quelle demokratischer Legitimität und Verantwortlichkeit in der EU.

Und die jüngste Krise hat uns gelehrt, dass die Öffentlichkeit vor allem auf ihre nationalen Politiker schaut und von ihnen Führung erwartet.

In Deutschland findet allenfalls ein Pokal-Endspiel oder ein Eurovision Song Contest so viel Aufmerksamkeit in der Bevölkerung wie die Debatten, die im Bundestag über die verschiedenen Rettungsschirme geführt wurden.

Wir sollten deshalb nach Wegen suchen, die Verbindung zwischen den nationalen Demokratien, ihren Parlamenten und den europäischen Institutionen zu stärken.

Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten. Eine Stärkung der Rolle des Europäischen Rates und eine engere Einbindung der einzelstaatlichen Parlamente in die Europapolitik.

Der Europäische Rat

Erstens erwarten die meisten Menschen in Europa von ihren Staats- und Regierungschefs, dass sie ihre Interessen auf EU-Ebene vertreten. Der Europäische Rat befindet sich in der einzigartigen Situation, sowohl eine europäische Institution wie auch ein Bindeglied zu den nationalen Demokratien zu sein.

Wir sollten deshalb fragen, ob die Regierungschefs mehr tun können, um die Richtung der Union zu bestimmen und die Wünsche der Bürger stärker zu berücksichtigen?

Ohne das Initiativrecht der Kommission in Frage zu stellen – könnten die Regierungschefs eine größere Rolle dabei spielen, die Grundlinien des Arbeitsprogramms der Kommission festzulegen?

Können wir mehr tun, vielleicht durch einen Ausbau der Rolle des Rates für allgemeine Angelegenheiten, um dafür zu sorgen, dass die Zusagen, die von den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat gemacht werden, auch eingelöst werden?

Die nationalen Parlamente

Zweitens sprach David Cameron in seiner Rede von der Notwendigkeit einer „größeren und bedeutenderen Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der EU-Politik“. Mit dieser Idee befassen sich auch andere, darunter eine Gruppe nationaler Parlamente, die von Dänemark einberufen wurde.

Eine Möglichkeit wären bessere Regelungen für die parlamentarische Kontrolle. Das ist ein Vorschlag, den wir in Großbritannien prüfen, und ich weiß, dass wir etwas daraus lernen können, wie aufmerksam die Bundestagsausschüsse die Arbeit der EU verfolgen, unter anderem auch indem sie Europaabgeordnete an ihren Sitzungen teilnehmen lassen.

Aber wir können noch mehr tun, damit die Legislative die Exekutive in EU-Angelegenheiten genauso zur Rechenschaft ziehen kann, wie sie es in einzelstaatlichen Angelegenheiten tut.

Außerdem gibt es einiges, was wir auf EU-Ebene tun können, um dem Subsidiaritätsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip mehr Geltung zu verschaffen. Auch hier kommt den nationalen Parlamenten eine besondere Rolle zu.

Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit

In Deutschland sind Sie diesen Prinzipien sehr verbunden. Sie bedeuten: die Politik wird auf der richtigen Ebene gemacht, und der der Staat greift gerade in dem Maße ein, wie es notwendig ist, um die Aufgabe zu erledigen.

Und mit Ihrer Förderalismusreform haben Sie gezeigt, dass eine Verlagerung von Kompetenzen in beiden Richtungen möglich ist. Dorthin, wo es am sinnvollsten ist, wenn sich die Umstände verändern.

Diese Prinzipien liegen auch unserer Regierung sehr am Herzen, und es ist ein Grundprinzip nicht nur unserer Politik nicht nur in Europa, sondern auch im eigenen Land, dass die Erbringung von Dienstleistungen und die Entscheidungsfindung auf der untersten möglichen Ebene erfolgen sollen.

Die gelbe Karte

Die EU-Verträge sehen bereits Befugnisse vor, mit denen das Subsidiaritätsprinzip durchgesetzt werden kann. Nach dem „Gelbe-Karte-Verfahren“ können die nationalen Parlamente die Kommission auffordern, einen Gesetzgebungsvorschlag erneut zu prüfen, wenn innerhalb einer Frist von acht Wochen ein Drittel von ihnen den Vorschlag ablehnt. Von dieser Befugnis wurde seit ihrer Einführung 2009 aber erst ein einziges Mal Gebrauch gemacht.

Unsere Parlamente arbeiten daran, sich besser zu koordinieren, um die gelbe Karte wirksamer einsetzen könnten, und sie haben meine volle Unterstützung.

Durch kleine Änderungen – zum Beispiel eine systematischere Vorprüfung von Kommissionsvorschlägen auf mögliche Subsidiaritätsprobleme – könnten die Parlamente die im Vertrag vorgegebenen Fristen leichter einhalten.

Und wir könnten ihnen dabei helfen, zum Beispiel, indem wir der interparlamentarischen Koordinierungsstelle Personal leihen, und sie frühzeitig auf problematische Vorschläge aufmerksam machen.

Wir sollten unsere Parlamente auch unterstützen, wenn sie noch mehr tun wollen.

Und wir könnten auch noch ehrgeizigere Ideen prüfen. Hier nur drei Beispiele.

Erstens könnten wir eine Regelung schaffen, wonach die nationalen Parlamente einen EU-Kommissar einbestellen könnten, um sich einen Vorschlag erklären zu lassen.

Zweitens könnten wir es den nationalen Parlamenten leichter machen, neue Gesetzgebungsvorschläge der EU aus Gründen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit anzufechten. Zum Beispiel indem wir den Anwendungsbereich der gelben Karte auf die Verhältnismäßigkeit ausweiten, die Schwellen absenken und den Parlamenten mehr Zeit geben würden.

Und drittens könnten wir uns noch einmal mit dem Vorschlag befassen, den nationalen Parlamenten das Recht zu geben, die Kommission zur Rücknahme eines Vorschlags zu zwingen (die sogenannte rote Karte).

Fazit

Meine Damen und Herren, Exzellenzen, verehrte Gäste.

Die Europäische Union befindet sich in einer Krise. Nicht in einer Wirtschaftskrise – obwohl diese Gefahr nach wie vor sehr reell ist – sondern in einer Demokratiekrise.

Zum ersten Mal sind mehr Menschen mit der Demokratie in der EU unzufrieden als zufrieden.

Die Menschen betrachten die EU als etwas, das mit ihnen gemacht wird, nicht von ihnen oder für sie – mit der Folge, dass die demokratische Zustimmung zur EU – nicht nur in Großbritannien, sonderen auch in anderen Teilen Europas – gefährlich dünn geworden ist.

Eine so ernste Herausforderung erfordert eine innovative Antwort, nicht einfach eine Fortsetzung der bisherigen Politik, die wenig dazu beiträgt, eine Brücke zur Öffentlichkeit zu schlagen.

Aus diesem grund hat David Cameron in seiner Europa-Rede eine grundlegende EU-Reform gefordert.

Um die EU ihren Bürgern wieder näher zu bringen. Um Brüssel wieder an ihr Leben, ihre Interessen und ihre Erwartungen anzukoppeln. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die eigentliche Quelle für demokratische Legitimation in einer extrem vielfältigen Union die nationalen Parlamente sind.

Das wäre sicher besser für Großbritannien, aber auch für Europa. Auf die Dauer wäre es nicht möglich, die wachsenden Bedenken unserer Bürger überall in Europa in Bezug auf das demokratische Defizit zu ignorieren. Und es wäre verantwortungslos, nicht danach zu handeln.

Auf der Basis einer so reformierten EU will David Cameron die Briten vor die Wahl stellen und in einem Referendum in der nächsten Legislaturperiode ihre neuerliche Zustimmung gewinnen, und er will sich für den Verbleib Großbritanniens in einer reformierten Union stark machen.

Genau wie beim Fußball scheint es auch hier viel zu geben, was Deutschland dem übrigen Europa beibringen kann.

Ihr föderales System sieht eine klare Abgrenzung der Befugnisse zwischen dem Bund und den Ländern vor. Genau das hat unsere Regierung in Großbritannien durch die Dezentralisierung und Delegation von Kompetenzen nach unten angestrebt.

Und wir könnten auch etwas daraus lernen, wie der Bundestag die Interessen der deutschen Bevölkerung in Brüssel schützt.

Auf die Gefahr hin, die Fußball-Analogie überzustrapazieren: Für die EU selbst wäre es vielleicht nützlich, wenn sie ein wichtiges Schiedsrichter-Instrument – die gelbe und die rote Karte – effektiver einsetzen könnte, um dem Willen der nationalen Parlamente und der Bürger, die sie vertreten, Geltung zu verschaffen.

Mit Blick auf nächsten Samstag möchte ich jetzt aber vor dem Schlusspfiff in Wembley nichts mehr von roten Karten hören!

Veröffentlicht am 16 May 2013