Weltnachrichten Geschichte

Deutschland und Großbritannien in Europa

Um ihre globale Position als Wertegemeinschaft zu erhalten und Wohlstand zu sichern, muss die EU auf aktuelle Herausforderungen eingehen.

Veröffentlicht wurde dies unter der 2010 to 2015 Conservative and Liberal Democrat coalition government
Simon McDonald, ©: SOD/Juri Reetz

Simon McDonald, ©: SOD/Juri Reetz

Rede des britischen Botschafters Simon McDonald am 18. Juni 2013 bei einer Veranstaltung der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh

Meine Damen und Herren, Herr Raabe,

vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben, heute Abend an diesem schönen Ort hier in Gütersloh zu sprechen.

Ich wurde gebeten, etwas allgemeiner über Deutschland und Großbritannien und ihre gemeinsame Zukunft in Europa zu reden. Aber wo anfangen?

Viele von Ihnen wissen vielleicht, dass unser Premierminister kurz nach Ostern Bundeskanzlerin Merkel auf Schloss Meseberg besucht hat. Vorangegangen war eine enge Zusammenarbeit im Europäischen Rat, wo es um die Zukunft des europäischen Haushalts in den nächsten sieben Jahren ging. Der Besuch war auch eine gute Gelegenheit, gemeinsame Interessen auf anderen Gebieten weiterzuverfolgen, zum Beispiel bei der Aufnahme der Verhandlungen zwischen der EU und den USA über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (auf Englisch: TTIP).

Insgesamt stelle ich fest, dass die offiziellen Kontakte zwischen London und Deutschland seit meiner Ankunft in Berlin im Oktober 2010 deutlich zugenommen haben. Allein in den zwölf Monaten vor dem Besuch des Premierministers sind 150 Minister und hochrangige Beamte nach Berlin gekommen. Sie sehen: An Engagement auf höchster Ebene fehlt es nicht. Aber wie steht es um die Substanz?

Im Januar, drei Monate vor seinem Besuch, hatte der Premierminister seine Vision für Europa und Großbritanniens Platz in Europa dargelegt. Die Rede hatte zwei Teile. Schlagzeilen machte vor allem der zweite Teil, in dem David Cameron – als Führer der Konservativen Partei – versprach, ein Referendum abzuhalten, wahrscheinlich 2017. Die Grundlage hierfür sollten neue vertragliche Vereinbarungen sein, die er aushandeln will. Der Premierminister betonte aber auch – und das ist ganz wichtig! – dass er sich persönlich für ein positives Ergebnis des Referendums einsetzen wird, damit Großbritannien auch in Zukunft eine aktive Rolle in der Europäischen Union spielt.

Aber ich möchte heute nicht über Austritt oder Verbleib sprechen – diese Frage steht frühestens in vier Jahren zur Diskussion – sondern über die Prinzipien, die der Europa-Politik der jetzigen Koalitionsregierung zugrunde liegen.

Für uns ist die Europäische Union kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Wir sehen sie als Instrument zur Förderung von Wohlstand und Stabilität, als Anker der Freiheit und Demokratie in Europa und auch außerhalb seiner Grenzen.

Aktuell steht die Europäische Union vor drei großen Herausforderungen:

  • Erstens bewirken die Probleme in der Eurozone grundlegende Veränderungen in Europa. Hierauf müssen wir flexibel reagieren, damit garantiert ist, dass unsere Institutionen und Verfahren wirklich die Interessen der Mitgliedstaaten widerspiegeln.

  • Zweitens befindet sich Europas Wettbewerbsfähigkeit in der Krise, da andere Staaten auf der ganzen Welt vorpreschen. Deshalb müssen der Binnenmarkt vertieft und erweitert, und der Außenhandel ambitionierter vorangetrieben werden.

  • Und drittens klafft zwischen der EU und ihren Bürgern eine Lücke, die in den letzten Jahren dramatisch gewachsen ist und in einem Mangel an demokratischer Legitimation und Akzeptanz besteht. Dies wird in Großbritannien besonders akut empfunden, aber nicht nur bei uns.

Wir sind auch nicht die einzigen, die das erkannt haben. Angela Merkel hat als erste darauf hingewiesen, dass die EU 7 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, 25 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung erbringt, aber für 50 Prozent der globalen Sozialausgaben aufkommen muss. Wir sollten deshalb über den Tellerrand der aktuellen Streitfragen (Bankenunion, Finanztransaktionssteuer) hinausschauen und überlegen, wie wir eine zukunftsfähige EU aufbauen können.

Der Premierminister hat fünf Prinzipien genannt, die uns alle in Europa bei der Reform und Weiterentwicklung unserer Institutionen leiten sollten: Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilität, demokratische Legitimation, das Subsidiaritätsprinzip und Fairness. Ich wiederhole: diese Prinzipien gelten für ganz Europa – Cameron erwartet keine Sonderregelungen für Großbritannien. In manchen deutschen Augen ist Flexibilität eine Art Code für Rosinenpickerei. Das ist nicht das, worum es meinem Premierminister geht – auch Deutschland, Frankreich, Polen und alle anderen sollen diese Flexibilität nutzen können. Wir haben nicht vor, dem Euro beizutreten; wir möchten, dass Sie das respektieren. Sie beteiligen sich ungern an Sicherheitsoperationen außerhalb Europas, wie in Libyen oder Mali; mit gleichem Recht können Sie von uns erwarten, dass wir diese Entscheidung respektieren.

Die EU hatte schon immer einen Kern, um den herum sich die Mitgliedstaaten gruppiert haben. Nun stellt sich die Frage, ob dieser Kern längerfristig der Binnenmarkt oder die Eurozone sein wird. Für Großbritannien muss es der Binnenmarkt sein – daran lassen die wirtschaftlichen Herausforderungen, mit denen ganz Europa konfrontiert ist, keinen Zweifel.

Trotzdem glauben wir, dass unsere verschiedenen Interessen miteinander vereinbar sind. Mit Deutschland teilen wir das Bekenntnis zu bestimmten Grundprinzipien, die die wirtschaftliche Erholung Europas unterstützen und unserem Kontinent dauerhaften Wohlstand sichern werden: Wettbewerbsfähigkeit, solide Finanzen, weniger Bürokratie für Unternehmen, Bildung, Innovation.

Die Europäische Union lebt von ihrer besonderen kulturellen, historischen und wirtschaftlichen Vielfalt. Aber das heißt nicht, dass Brüssel oder die europäischen Institutionen nicht eine größere Rolle spielen sollten. Im Gegenteil: Bei der Vollendung des Binnenmarkts – sei es in der Digitalwirtschaft oder auf dem Energiesektor – oder bei den TTIP-Verhandlungen, wird die Kommission mehr Handlungskompetenz haben müssen. Wir brauchen allerdings auch Flexibilität, damit unsere diversen Interessen angemessen berücksichtigt werden können. Wir sollten uns klarer zur Subsidiarität bekennen und auch zu der „variablen Geometrie“, die wir schon jetzt haben, um die richtigen Lösungen für das Spannungsfeld zwischen Eurozone und Binnenmarkt zu finden.

Was die demokratische Verantwortlichkeit anbelangt, glauben wir nicht, dass die Legitimation unseres gemeinschaftlichen Handelns beim Europäischen Parlament liegt. In den letzten vier Verhandlungsrunden über die EU-Verträge erhielt das Europäische Parlament immer mehr Befugnisse. Das Problem der fehlenden Akzeptanz wurde damit nicht gelöst. Nicht einmal jeder hundertste EU-Bürger kennt seinen Europa-Abgeordneten. Nicht einmal jeder tausendste weiß, was Europa-Abgeordnete überhaupt tun.

Wie die Bundeskanzlerin deutlich gemacht hat, ist die Welt uns nichts schuldig, und die Frage lautet jetzt nicht, ob wir durch Herumbasteln an Institutionen unsere Differenzen beseitigen können, sondern wie Europa in 50 Jahren aufgestellt sein sollte. Es geht heute nicht mehr darum, Frieden in Europa zu schaffen, sondern darum, wie wir im globalen Wettbewerb unseren Wohlstand sichern können.

Bei der Präsenz der britischen Streitkräfte in Gütersloh ist es durchaus darum gegangen, den Frieden in Europa zu sichern. Seit über 60 Jahren unterhalten wir ausgezeichnete Beziehungen zu den deutschen Behörden, besonders in Gütersloh, wo rund 3000 Soldaten mit ihren Familien stationiert sind. Wie Sie vielleicht wissen, werden wir den Flugbetrieb in Gütersloh in diesem Jahr einstellen und die Princess Royal Barracks Ende 2016 an die deutschen Behörden zurückgeben. Die Mansergh-Kaserne wird noch länger genutzt und soll irgendwann nach 2017 zurückgegeben werden. Wir sind der deutschen Bevölkerung und den Behörden außerordentlich dankbar für die Unterstützung, die sie uns erwiesen haben. Wir werden mit ihnen zusammenarbeiten und versuchen, die Auswirkungen, die der Truppenabzug für die betroffenen Regionen bis 2020 haben wird, so gering wie möglich zu halten.

Gemeinsam haben wir den Frieden in Europa fest verankert. Für die heutige Jugend haben Europa und die europäische Integration nicht mehr die gleiche existenzielle Bedeutung wie für meine Generation und die vorangegangene. Die EU wird ihre globale Position als Wertegemeinschaft jedoch nur erhalten können, wenn sie auf die aktuellen Herausforderungen und die Erwartungen der nachkommenden Generation eingeht. Großbritannien und Deutschland haben bei diesem Projekt beträchtliche gemeinsame Interessen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Veröffentlicht am 19 June 2013